Geschichte eines Ruhelosen.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt.
Leipzig: Ernst Keil.
1870,
Nr. 16, S. 244–247
Mein lieber Keil!
Friedrich Gerstäcker.
Originalzeichnung von Adolf Neumann
In Leipzig erst, wo ich meine Mutter wiederfand, wurde mir das
Räthsel gelöst. Sie hatte mein Tagebuch an Robert Heller gegeben,
und dieser den größten Theil desselben in seinen „Rosen“ angenommen.
So hat mich denn Robert Heller eigentlich zum Schriftsteller gemacht
und trägt die ganze Schuld, denn in Dresden wurde ich später
veranlaßt, diese einzelnen Skizzen
zusammenzustellen und
ein
wirkliches
–
mein
e r s t e s
Buch – zu schreiben.[3]
Meine erste Erzählung druckte die Brockhaus’sche Buchhandlung im
damaligen „Pfennig-Magazin“[4]
ab, dann nahm die damalige „Wiener Zeitschrift“ eine größere
Erzählung: „Die Silbermine in den Ozark-Gebirgen“[5]
wie eine zweite: „Pantherjagd“[6]
an und zahlte mir dafür ein Honorar von – fünf Gulden. Bäuerle von
der „Theaterzeitung“ wollte dagegen eine andere, die er sich jedoch
nicht einmal die Mühe nahm zu lesen, selbst nicht umsonst in sein
Blatt aufnehmen, und mir lag doch damals hauptsächlich daran, nur
bekannt zu werden. Es ist mir später die Genugthuung geworden, daß
Herr Bäuerle diese n ä m l
i c h e Erzählung, die später in das Englische übersetzt
wurde und von da in
die „Indépendance belge“ überging, aus dem
Französischen in das Deutsche zurückübersetzt (natürlich ohne meinen
Namen) in sein Blatt aufnahm, und dann auch noch für die jetzt
verstümmelte Erzählung jedenfalls Uebersetzungshonorar bezahlen
mußte.
Im Jahre 1845 schrieb ich meinen ersten Roman: „Die Regulatoren“[7],
der freundlich vom Publicum aufgenommen wurde, aber ich bekam,
nachdem ihn ein paar Buchhandlungen abgelehnt (jetzt ist er
stereotypirt worden), nur ein sehr geringes Honorar dafür, und das
Jahr 1848 legte nachher fast jede belletristische Unternehmung lahm.
Ich hatte mich unter der Zeit verheirathet, fühlte auch, daß ich
unter solchen Umständen, mit harter Arbeit, wohl meine kleine
Familie ernähren könne – aber weiter Nichts, und lebenslang
Uebersetzer bleiben? der Gedanke war mir entsetzlich. Ich fühlte
jetzt die Kraft in mir, etwas zu
s c h a f f e n,
und faßte den allerdings etwas kecken Entschluß – denn ich war ohne
alle Mittel und hatte Weib und Kind – die todte Zeit in Deutschland
zu benutzen und – eine Reise um die Welt zu machen. Ich trat
augenblicklich mit der Cotta’schen Buchhandlung in Unterhandlung, um
Correspondenzen für das Beiblatt der Augsburger Zeitung zu liefern –
die Herren gingen endlich darauf ein, mir vierhundert Thaler
Vorschuß zu zahlen. Das damalige Reichsministerium bewilligte mir
außerdem (und die Leute sagen, ich sei der Einzige, der damals etwas
vom deutschen Reich gehabt) fünfhundert Thaler, um die veschiedenen
deutschen Colonien im Ausland zu besuchen, und mit neunhundert
Thalern trat ich guten Muths eine Reise, die neununddreißig Monate
dauerte, an.
Indessen hatte ich einen Roman: „Pfarre und Schule“[8],
beendet, für den ich von der Georg Wigand’schen Buchhandlung
vierhundert Thaler (in Raten an meine Frau während meiner
Abwesenheit zu zahlen) erhielt; für das Weitere verließ ich mich,
wie schon oft im Leben, auf den lieben Gott und mein gutes Glück –
und beide haben mich nicht im Stich gelassen. Daß ich von den
neunhundert Thalern nicht die ganze Reise machen konnte, ist
natürlich, aber wo mir auch das Geld ausging – und das geschah
verschiedene Male – bekam ich, doch jedenfalls allein auf mein
ehrlich Gesicht (von dem sich der Leser in dieser Nummer überzeugen
kann), an allen fremden Plätzen von deutschen Kaufleuten die nöthige
Summe auf Wechsel an die Cotta’sche Buchhandlung, der ich denn auch
fleißig Berichte schickte, durch die ich der Sorge für meine Familie
daheim enthoben ward. Erst in Australien fand ich wieder fünfhundert
Thaler, die Kaufmann Schletter in Leipzig dort für mich deponirt
hatte, und wenn ich auch in Java wieder eine frische Summe aufnehmen
mußte, hatte ich doch von da an gewonnen.
Im Jahre 1852 kehrte ich nach Deutschland zurück und fand nicht
allein die Meinen wieder, sondern auch die Verlagsbuchhändler (eine
s e h r wichtige
Menschenclasse für einen jungen Schriftsteller) viel freundlicher,
als sie sich mir je gezeigt. Ich selbst hatte durch diese Reise
einen fast übermäßig reichen Hintergrund für meine Novellen und
Romane gewonnen, und arbeitete jetzt acht Jahre unverdrossen fort,
bis mich 1860, nicht etwa Mangel an Stoff – denn ich hatte damals
schon genug, um für mein Leben auszureichen – doch neue Wanderlust
und das Bedürfniß erfaßte, die schwächer werdenden Bilder jener
fremden Welt auf’s Neue aufzufrischen. Ich machte eine
achtzehnmonatliche Tour durch Südamerika, wobei ich mein Augenmerk
besonders auf früher noch nicht besuchte oder neu entstandene
Kolonien richtete, wie vorzüglich in Ecuador, Peru, Chile und
Brasilien.
Im Jahre 1861 kehrte ich nach Europa zurück; ich hatte lange keine
Briefe von daheim gehabt – meine Frau war krank geworden und –
gestorben; es war eine trübe Wiederkehr. Es litt mich auch nicht
lange in Deutschland. Schon im Frühjahr 1862 ging ich mit dem Herzog
von Coburg nach Aegypten und Abyssinien, machte dann in den Jahren
1867 und 1868 meine letzte Reise nach Nordamerika, Mexico und
Venezuela und bin jetzt scharf daran, meine Erinnerungen
auszuarbeiten.
W a s
ich Alles geschrieben? ich will Ihren Raum hier nicht mit der
Aufzählung meiner verschiedenen Schriften füllen – und
w i e ich es
geschrieben? – Es ist mir von verschiedenen Seiten, und oft sehr
vornehm, vorgehalten worden, daß ich ein rein praktischer Mensch
wohl, aber kein Gelehrter sei – lieber Gott, es muß auch
s o l c h e Käuze
geben und ich räume das gern ein. Ich habe mich nie in rein
wissenschaftlicher Art mit Pflanzen-, Stein- ober Thierkunde
beschäftigt, meine Augen dagegen fest auf
d e n Punkt
gehalten, der von den meisten Naturforschern auf das Gründlichste
vernachlässigt ist – auf die Menschen, und zwar auf die Völker, wie
sie jetzt auf der Erde leben. Ebenso durchzog ich vorzugsweise die
Länder, denen sich unsere deutsche Auswanderung zugewandt, und daß
ich es nicht ganz nutzlos gethan, hat mir jetzt wieder so mancher
warme Händedruck da draußen in fremden Ländern und an Stellen
bewiesen, wo ich nicht einmal hoffen durfte, einen entfernten
Bekannten zu treffen, und trotzdem überall warme Freunde fand.
„Und wollen Sie nicht wieder bald einmal auf Reisen gehen?“ werde
ich von vielen Leuten, die mich als eine Art von Perpetuum mobile zu
betrachten scheinen, gefragt. – Quien sabe! Ich bin allerdings, wie
Sie wissen, noch in den „besten Jahren“ und gerade etwa
vierundfünfzig, habe also noch „nichts versäumt“, will es aber doch
jetzt noch eine Weile abwarten und nur erst den Stoff verarbeiten,
der mir zunächst auf dem Herzen liegt, – was dann weiter wird? – es
ist das Unglücklichste, was ein Mensch auf der Welt thun kann: Pläne
auf J a h r e
hinaus zu machen, wo er nicht einmal Herr über den nächsten Tag
ist. – Was kommen soll, kommt. Ich habe völlig Zeit, es ruhig
abzuwarten, und die verfliegt mir außerdem rasch genug, denn ich
lebe ja jetzt in meinen Erinnerungen.
So alt bin ich freilich geworden, daß ich das Leben, was ich
geführt, nicht noch einmal von Anfang an durchkosten möchte, aber
ich würde es auch gegen k
e i n anderes der ganzen Welt eintauschen, denn bunt und
mannigfaltig war es zur Genüge – ich habe Jahre lang in großen
Städten, von Comfort umgeben, und ebenso im wilden Urwalde von
Wildfleisch und zu Zeiten sogar von Sassafras-Blättern oder einen
alten Kakadu gelebt – ich bin Gast von gekrönten Häuptern und
Feuermann auf einem
Mississippi-Dampfer wie
Tagelöhner gewesen, aber ich war
s t e t s
frei und unabhängig wie der
Vogel in der Luft, und mit Lust und Liebe zu meinem Berufe, den ich
mir nicht gewählt, sondern in den ich eigentlich hineingewachsen
bin, mit einer Fülle voll Erinnerungen und noch genug
Schaffenskraft, mich ihrer zu erfreuen, ja auch mit dem Bewußtsein,
manches Gute gethan und manchem Menschen genützt zu haben, fühle ich
mich hier an meinem Schreibtische genau so wohl, als ob ich da
draußen auf flüchtigem Renner durch die Pampas hetzte oder unter
einem Fruchtbaume am Meeresstrande der donnernden Brandung gegen die
Korallenriffe lauschte.
Da haben Sie meine Lebensbeschreibung, lieber Keil. Ich bin, wie
gesagt, kein Gelehrter, aber
„Wem Gott will rechte Gunst erweisen,
Den schickt er in die weite Welt,
Dem will er seine Wunder weisen
In Berg und Wald, in Strom und Feld“;
und in d i e s e m
Sinne kann ich mich wirklich und wahr einen „Schriftsteller von
Gottes Gnaden“ nennen, als der ich mich zeichne
Ihr
alter getreuer
Friedrich Gerstäcker.
Braunschweig, im März 1870.
[1] Der Künstler und Illustrator Herbert König (1820-1876) war mit Friedrich Gerstäcker gut befreundet, diese Bemerkung bezieht sich auf eine launige Erzählung, die er unter dem Titel „Ein Besuch bei meinem Freunde Gerstäcker“ in der Zeitschrift Fliegende Blätter, München: Braun & Schneider, Nr. 408, 1853, veröffentlichte und mit Karrikaturen illustrierte.
[2]
Friedrich Gerstäcker kam nach dem frühen Tod seines Vaters
1825 mit seiner Schwester Molly zum Onkel Eduard Schütz,
lebte in dessen Haus am Hagenmarkt in Braunschweig und
besuchte hier bis 1830 die unteren Klassen des Katharineums.
Nach dem Tod der Tante kehrten die Kinder zur Mutter nach
Leipzig zurück.
[3]
Da die Zeitschrift
Rosen nur fragmentarisch in verschiedenen Archiven
auftaucht, ist bislang ein Nachweis über den Umfang dieser
Tagebuchauszüge nicht möglich gewesen. Die Tagebücher wurden
1844 im Leipziger Verlag der Arnold’schen Buchhandlung unter
dem Titel Streif- und
Jagdzüge durch die vereinigten Staaten Nord-Amerikas
veröffentlicht.
[4]
Amerikanische
Nachtstücke (Der Fluch).
In:
Das Pfennig-Magazin
für Belehrung und Unterhaltung. Leipzig: F.A. Brockhaus.
1844.
[5]
Die Silbermine in den
Ozarkgebirgen von Nordamerika.
In:
Wiener Zeitschrift
für Kunst, Literatur, Theater und Mode. Wien:
Anton Strauss sel. Witwe, 1844.
[6]
Die Pantherjagd.
In: dass., 1844
[7]
Die Regulatoren in
Arkansas. Aus dem Waldleben Aermika’s.
Leipzig: Vereins-Verlagsbuchh. Otto Wigand, 1846.
[8]
Pfarre und Schule.
Eine Dorfgeschichte.
Leipzig: O. Wigand, 1849.